Mutlose Haltung des Bundesrates: Die Schweiz verzichtet im Moment auf Beitritt zum Atomwaffenverbot

Setsuko Thurlow während der Verhandlung des Atomwaffenverbotsvertrages im Juli 2017 (Thea Mjelstad für ICAN – flickr). Der Einsatz und die Zeugnisse von Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki haben massgeblich zum erfolgreichen Abschluss des Verbotsvertrag beigetragen. In ihrer Rede zum Friedensnobelpreis im Dezember 2017 beschwörte Setsuko die Regierungsvertreter aller Länder: „Tretet dem Vertrag bei; beseitigt die nukleare Bedrohung.”

Genf, 15. August 2018 – Nach langem Zögern hat der Bundesrat heute endlich öffentlich zum Vertrag über das Atomwaffenverbot Stellung bezogen. Mit Verweis auf die Schlussfolgerungen einer interdepartementalen Arbeitsgruppe erklärte er, die Schweiz sieht vorerst der Unterzeichnung des Atomwaffenverbotsvertrag ab. ICAN Switzerland bedauert diese Haltung ausserordentlich. Sie ist weder mit der humanitären Tradition unseres Landes vereinbar, noch aus sicherheits- und friedenspolitischer Sicht nachvollziehbar.

Die Veröffentlichung der Analyse der interdepartementalen Arbeitsgruppe zum Vertrag und seinen möglichen Auswirkungen erfolgt nur eine Woche nachdem die Weltgemeinschaft den Opfern der grauenvollen Atombombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki vor 73 Jahren gedachte. Opferhilfe ist ein zentrales Element des Verbotsvertrags, der Atomwaffen vollumfänglich ächtet. Der Bundesrat legt zwar weiterhin ein Lippenbekenntnis für eine nuklearwaffenfreie Welt ab und gelobt “keine Gelegenheit ungenutzt lassen, in der nuklearen Abrüstung und Nichtverbreitung Fortschritte zu unterstützen”. Seines Erachtens “überwiegen die Gründe gegen einen Beitritt der Schweiz aber die potenziellen Chancen, die mit einer Unterzeichnung und Ratifizierung dieses Vertrags einhergehen würden”. Der Bericht erwägt offen die Möglichkeit, dass sich die Schweiz unter den atomaren Schirm der NATO begeben könnte.

 

„Wir sind bestürzt über diese Einstellung und bedauern, dass die Schweiz nicht bei der Unterzeichnungszeremonie am 26. September in New York dabei sein wird“, sagt Annette Willi, Präsidentin von ICAN Switzerland. „Der Bundesrat setzt die Glaubwürdigkeit der Schweiz aufs Spiel. Die Schweiz kann nicht eine humanitäre Politik predigen und für den Abrüstungsstandort Genf weibeln und handkehrum den Beitritt zu diesem historischen UNO-Abkommen auf die lange Bank schieben“, so Willi weiter.

 

Der Vertrag über das Verbot von Atomwaffen wurde am 7. Juli 2017 von 122 Staaten angenommen. Auch die Schweiz stimmte an der UNO für den Vertrag. Seither haben ihn 60 Länder unterzeichnet, darunter Liechtenstein und das neutrale Irland, und 14 haben ihn sogar schon ratifiziert, so etwa Österreich und Nato-Partner Neuseeland.

Das Ende unserer humanitären Tradition?

Die Haltung des Bundesrates steht im direkten Widerspruch zur humanitären Tradition der Schweiz. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) hat alle Staaten eindringlich zum Beitritt aufgefordert. In einer gemeinsamen Stellungnahme vom Mai 2018 erinnerten IKRK-Präsident Peter Maurer und die Präsidentin des Schweizerischen Roten Kreuzes, Annemarie Huber-Hotz, an die verheerenden Konsequenzen von Atomwaffen. Sie wiesen auf die zunehmende Gefahr einer Kernexplosion hin und riefen dazu auf, sich beim Entscheid über den Beitritt der Schweiz „von unserer humanitären Tradition leiten [zu] lassen“.

Daraufhin hatte der Nationalrat eine Motion (17.4241) angenommen, die den Bundesrat ersucht, den Vertrag unverzüglich zu unterzeichnen. Die Motion ist gegenwärtig in der Aussenpolitischen Kommission des Ständerats hängig, die sich hoffentlich noch vor der Herbstsession mit dieser wichtigen Angelegenheit befassen wird.

In einer Zeit in der das humanitäre Recht in zunehmend in Frage gestellt wird und der Multilateralismus unter Druck steht, sendet die Haltung des Bundesrates ein falsches Signal an die Weltgemeinschaft.

 

„Wir hoffen, dass der Ständerat das Ruder herumreisst. Die Position der Schweiz in dieser Sache ist von internationaler Bedeutung und die im Bericht der Bundesverwaltung erwähnten Einwände verlangen nach einer vertieften, öffentlichen Debatte“, sagt Willi. „Als Schweizer Bürger muss man sich fragen: erleben wir gerade das Ende der stolzen humanitären Tradition unseres Landes? Das dürfen wir nicht einfach so hinnehmen.“

 

Deswegen lanciert ICAN Switzerland heute eine Petition die den Bundesrat auffordert seine Haltung zu überdenken und den Atomwaffenverbotsvertrag jetzt zu unterzeichnen und diesen umgehend dem Parlament zur Genehmigung für die Ratifikation vorzulegen.

Hintergrund

Der Vertrag über das Verbot von Atomwaffen von 2017 verbietet die Entwicklung, das Testen, die Produktion, die Herstellung, die Aneignung, den Besitz, die Lagerung, den Transfer, den Einsatz und die Androhung des Einsatzes von Atomwaffen.

60 Staaten haben den Vertrag unterzeichnet und 14 haben ihn ratifiziert (Stand 15. August 2018). Damit er in Kraft tritt sind 50 Ratifikationen nötig.

Der Vertrag ergänzt die Ziele bestehender Übereinkommen zur atomaren Abrüstung, einschliesslich des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NVV).

Über ICAN Switzerland

ICAN Switzerland ist der Schweizer Zweig der Internationalen Kampagne für die Abschaffung von Atomwaffen (ICAN), einer globalen Koalition von 468 Organisationen in 101 Ländern.

ICAN erhielt 2017 den Friedensnobelpreis für ihre Arbeit für den Atomwaffenverbotsvertrag.

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